Monday, June 1, 2009

Reinhard Mey: Über den Wolken

(1974)

Wind Nord-Ost Startbahn null-drei,
bis hier hör’ ich die Motoren.
Wie ein Pfeil zieht sie vorbei,
und es dröhnt in meinen Ohren.
Und der nasse Asphalt bebt,
wie ein Schleier staubt der Regen.
Bis sie abhebt und sie schwebt
der Sonne entgegen.

Über den Wolken
muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,
blieben darunter verborgen, und dann
würde das, was groß und wichtig erscheint,
plötzlich nichtig und klein.

Ich seh’ ihr noch lange nach,
seh’ sie die Wolken erklimmen.
Bis die Lichter nach und nach
ganz im Regengrau verschwimmen.
Meine Augen haben schon
jenen winzigen Punkt verloren.
Nur von fern klingt monoton
das Summen der Motoren.

Über den Wolken
muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,
blieben darunter verborgen, und dann
würde das, was groß und wichtig erscheint,
plötzlich nichtig und klein.

Dann ist alles still, ich geh’.
Regen durchdringt meine Jacke.
Irgendjemand kocht Kaffee
in der Luftaufsichtsbaracke.
In den Pfützen schwimmt Benzin,
schillernd wie ein Regenbogen.
Wolken spiegeln sich darin.
Ich wär’ gerne mitgeflogen.

Über den Wolken
muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,
blieben darunter verborgen, und dann
würde das, was groß und wichtig erscheint,
plötzlich nichtig und klein.